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Gedanken Persönlichkeitsentwicklung

Ich bin verstrickt mit meiner Mutter.

Stell dir ein einfaches Rechts-links-Strickmuster vor: Überschaubar, leicht zu handhaben, schnell umzusetzen. Doch es gibt kompliziertere Muster: Zickzack, Rauten, Dreiecke, Flechtmuster, Rippen, Waben, Herzen und und und… der Muster gibt es Tausende: Je komplizierter, desto anfälliger. Eine Masche fällt… du strickst weiter, es fällt dir gar nicht auf. Weitere Maschen fallen, du strickst sie zusammen, obwohl sie nicht zusammengehören. Wenn du nicht aufpasst, verschieben sich die Reihen und das geplante Muster verliert seine eigentliche Form. Von ganz nah besehen, erkennst du es nicht sofort, aber von weitem zeigen sich im Gesamtbild deutliche Ver-Strickungen. Ver-Strickungen, die nur dann aufzulösen sind, wenn du das bisher Gestrickte ganz aufmachst – zumindest bis dahin, wo die erste Ver-Strickung erkennbar ist.

Strickmuster, eine so passende Metapher für das, was wir das Lebenssystem eines Menschen nennen. Systeme mit den unterschiedlichsten Ausformungen. Genauso überschaubar und anfällig; je nachdem, welche Verstrickungsdichte sich in ihnen niederlässt, festkrallt, verklebt, versteckt, manifestiert…

Wir haben schon lange erkannt, dass der Einzelne – will man ihn verstehen – nicht ohne sein System, in dem er aufgewachsen ist, betrachtet werden kann. Und dies gilt nicht nur für sein gegenwärtiges System, sondern meint auch die seiner Eltern, Großeltern und Urgroßeltern… das sogenannte transgenerative System! Für manch einen erscheint es unheimlich, dass ein bestimmtes Ereignis aus der (Ur-)Groß-Generation sein heutiges Leben beeinflussen könnte. Dem ist aber so – erwiesenermaßen!*

Hier ein markantes Beispiel: Die posttraumatische Belastungsstörung von deutschen Kriegskindern aus dem zweiten Weltkrieg. Flucht, Bombenkrieg, Vertreibung, Heimatverlust, abwesende Väter… haben tiefe Wunden in ihren Seelen und Körpern hinterlassen. Egal, ob die Eltern Täter oder Opfer, Befürworter oder Gegner des NS-Regimes waren: Ihre Kinder, die Kriegsenkel, wurden zum Übertragungsobjekt all ihrer unausgesprochenen, verdrängten und abgespaltenen Gefühle. Sie übernahmen unbewusst die unaufgelösten Ängste und Blockaden ihrer Eltern. Eine bemerkenswerte Anzahl von Kriegsenkeln beklagten die Kälte und das Schweigen, in denen sie aufwuchsen: „Ich kann meine Eltern emotional nicht erreichen.“ Sie mussten auf der Hut sein, durften nicht auffallen und nichts riskieren. Veränderungen im Leben wurden als bedrohlich empfunden. Obwohl erstaunlich gute Voraussetzungen – gesellschaftlich wie wirtschaftlich – für ein erfolgreiches Leben vorhanden waren, wurden die Kriegsenkel weltweit als eine größtenteils geschwächte Generation erlebt. Ihr Leben war unauffällig und undramatisch.

„Die Eltern, ja, die hatten Schlimmes hinter sich. Aber wir doch nicht.“„Wir“ hatten kein Anspruch auf Lebendigkeit. „Wir“ akzeptierten widerspruchslos den uns immer wieder umgebenden Nebel, ohne wirklich zu erkennen, dass das der Nebel unserer Eltern war, in dem wir unser Leben fristeten.**

Ja, ich bin verstrickt mit meiner Mutter…

Ich bin die dritte Generation, in der diese Verstrickungen fortleben. Meine zugegebenermaßen stärkste Motivation, mich der Vergangenheit, der Wahrheit und den eigenen Wurzeln zu stellen, sind meine Kinder. Sie sollen nicht weiter Opfer transgenerativer Übertragungen sein und die Chance haben, ihr eigenes Leben voller Freude und Lebendigkeit selbst zu bestimmen.

Es ist ein individueller Heilungsprozess, der sich kollektiv auswirken wird. Ein heutiger Flüchtling aus einem Kriegs-/Krisengebiet wird dann keine Angst mehr in uns auslösen; weil die Nebel der Vergangenheit sich geklärt haben und wir die Realität sehen können, wie sie wirklich ist. Eine Coronakrise verliert ihr Grauen, weil unser Vertrauen ins Leben stark ist.

Ein einigermaßen verstrickungsfreies Leben ist wie ein einfaches, überschaubares und schnell umsetzbares Rechts-links-Strick-Muster! Das heißt: Die Angst meiner Mutter muss nicht meine sein! Ich kann mich von ihr befreien.

Cornelia Hargesheimer
Personal– & Business-Coach

Beitragsbild von Eric Ward

* „Wer bin ich in einer traumatisierten Gesellschaft“, Franz Ruppert, 2018
** „Nebelkinder“, Michael Schneider, Joachim Süss, 2015

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Gedanken

Jemand sein, der man nicht ist!

Die Sehnsucht ist groß. Schon Jahre, Jahrzehnte lebt sie unerfüllt im Unbekannten. Jeder spürt sie. Unbewusst, bewusst. Doch ist es, als ob eine unsichtbare Fessel das Unbekannte bewegungslos macht. Starr. Voll Angst. Gelähmt. Werden wir älter, spüren wir, wie die Fesseln stärker ins Fleisch schneiden. Der Leidensdruck steigt. Der Schmerz darunter ist fast nicht zu ertragen. Doch irgendwann glauben wir uns die Lüge, dass das jetzige Leben das ist, was wir wollen und was wir sind. Wir glauben uns unser vermeintliches Glücklichsein. Doch in Wirklichkeit funktionieren wir. Sowohl individuell als auch kollektiv.

Als Kind träumen wir vielleicht, eine Musik zu machen, die die Menschen berührt. Oder Häuser zu bauen, die das innere Gebäude des Menschen in seiner Freiheit und Weite widerspiegeln. Oder Bilder zu malen, die den Schmerz des Betrachters heilen, von seiner eigenen Freude erzählen. Träume jeglicher Art. Wir träumen und haben eine Vision. Das fühlt sich sehr gesund an. Wäre es nicht sinnvoll, diesen Weg weiter zu verfolgen? Ein Denkansatz von starker, innerer Logik, wie ich finde.

Doch eine andere Logik prägt unser Leben: Wir werden konditioniert, von Geburt an – durch Eltern, Kita, Schule, Kirche… kulturell, soziologisch, gesellschaftlich: Ganz bestimmte Denk- und Gefühls-Paradigmen. Wir werden in eine bestimmte Lebensstruktur hineingeboren, die uns als Wahrheit verkauft wird und doch meistens nur jene Wahrheit ist, die andere für richtig und gut halten, aber nicht unbedingt nach unserer eigenen Wahrheit fragt.

Es scheint, als wäre das der Lauf der Welt.

Das Nicht-gelebte, Verschüttete, Verdrängte, Nicht-erlaubte bleibt aber da, fristet sein Dasein irgendwo in unseren Zellen, (noch) unerkannt. Unsere nicht gelebten Träume werden dann zur unerfüllten Sehnsucht. Es sind per se nicht allein die Träume, die uns zu dem machen, wer wir „wirklich“ sind. Doch gelebte Träume dienen uns, uns im eigenen Selbst besser zu erkennen.

Wenn ich von Träumen rede, dann meine ich nicht das Träumen, das uns aus der Realität beamt, sondern das kreative, innovative, das der Mensch braucht, um weiterzuwachsen. Hören wir auf, diese Träume zu leben, verlieren wir den Kontakt zu unserem wahren Selbst.

„Ich habe mein Selbst nie verloren.
Ich habe es nur schlummern lassen.
/…/
Ich will spüren, dass ich lebe
Jeden Tag, den ich hab‘ ich will leben wie ich es will
Ich will spüren, dass ich lebeWissen, ich war gut genug!
/…/
Ich bin hier
Und mein Leben gehört mir
Ich will spüren das ich mein Leben gelebt habe!“

Gabriella – Titelsong aus: WIE IM HIMMEL

Meine Texte sind Anregungen, im stetigen Wandel befindliche Gedanken, die wiederum auf andere Gedanken treffen. Lass mich teilhaben an deinen Gedanken. Was denkst du?

Ich freu mich auf einen Dialog! Danke

Cornelia Hargesheimer
Personal– & Business-Coach

Beitragsbild von Ross Findon